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Gegenwartsfragen


ein fortlaufender Bericht

Wenn ich ein kleines Besucherkind mit seinen erwachsenen Begleitern beobachte, begegnen mir zwei gegensätzliche Vorgänge. Der Junge verweilt am Kaminfeuer in der Eingangshalle. „Ein Feuer in einem Haus, das habe ich noch nie gesehen.“
Die Eltern setzen sich dazu, greifen zum Smartphone, machen Photos, wie ihr Kind versucht einen Holzscheit aufzulegen. Die Mutter liest auf dem Bildschirm, tippt und wischt.
Da ist eine jahrtausendjährige Entwicklung, die sich in dieses kleine Gerät verdichtet hat. Wie die Kohlen und Aschen im Feuer. Alte Bäume mit einem langen Prozess der Forstpflege, der Waldwirtschaft und Holzverwertung verstoffwechseln sich in Licht, Wärme, Rauch und Holzkohle. Im Smartphone und in der Kohle: geronnene Zeit von Millionen von Menschen. Und dann dieses Kind vor dem Kamin. Mit ihm kommt Neues in die Welt. Die Möglichkeit für einen Neuanfang, reine Zukunft. Wie halten wir dieses Spannungsfeld von Gewordenem und Zukünftigem offen und weit gespannt?
Wie gestalten wir Umgebung und Umgang, die es dem Kind erlauben, sich gesund in das Gewordene der menschlichen Entwicklung einzuleben? Die Sinnespflege ist der Schlüssel.
 
Presencing
Schon sehr früh, schon vor unserer Zeit auf dem Freudenberg wurden wir von Goethe begleitet. Wir waren mit unserem Zirkus unterwegs und der Botaniker und Geistesforscher Thomas Gröbel trat auf. Er hielt eine wunderschöne Rose in der einen und ein Messer in der anderen Hand. Vor unseren Augen zerteilte er die Blüte in ihre Einzelteile. Unmut, Unverständnis. Wozu diese Zerstörung?
Thomas Gröbel: Wir studieren, worauf es in der Pflanzenwelt letzen Endes ankommt. Niemals werdet Ihr das Leben begreifen können, wenn Ihr bei der festen Form, beim Gewordenen stehen bleibt, anstatt das Werdende ins Auge zu fassen. Das einzelne Blatt ist nur wie ein Moment auf dem Entwicklungswege der Pflanze.

Und dann trug er das Gedicht vor:
Dich verwirret Geliebte die tausendfältige Mischung
Dieses Blumengewühls über dem Garten umher,
Viele Namen hörest du an und immer verdränget,
Mit barbarischem Klang, einer den andern im Ohr,
Alle Gestalten sind ähnlich und keine gleichet der andern,
Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,
Auf ein heiliges Rätsel. O! könnt ich dir, liebliche Freundin,
Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort.
Werdend betrachte sie nun (…)
Das ist uns zur Methode geworden. PRESENCING, eine Wortschöpfung aus Gegenwart (precence) und Fühlen (sensing). Das Gegenwärtig werden, denn man kann es nicht sein. Es ist ein Werden und Vergehen.

Unser Freund und Berater Norbert Roeskens brachte uns den Begriff ‚Leitstern‘. „Der Stern weist Euch den Weg und führt Euch ans Ziel.“ Der Stern vereint Himmlisches mit dem Irdischen.

Der hohe Stern gibt uns ein weites Feld, er ist keine Zielangabe über Erträge, Umsätze, Rendite und doch sind diese Gesichtspunkte wichtige Begleiter auf dem Weg.

Wir sehen den Leitstern hoch oben, unerreichbar und leben hienieden. Und wir versichern uns immer wieder: Folgen wir dem gleichen Stern?

Der Name Hugo Kükelhaus fiel uns erstmals zu bei einer Akrobatik Stunde mit der Lehrerin Jolanda Rodio. Ihre Frage an uns war: Was ist der Unterschied zwischen Kraft und Energie? Die Frage führte uns ins Gestrüpp und Dickicht der Begriffe. Beiläufig erwähnte Jolanda den Namen Kükelhaus und empfahl uns, ihn im Ruhrgebiet aufzusuchen. „Der kann Euch weiterhelfen.“ Es kam dann so, daß ich in einer Buchhandlung in Bielefeld während einem Theatergastspiel ein Taschenbuch von Hugo Kükelhaus fand (1982): Entfaltung der Sinne zur Bewegung und Besinnung. Ich habe mir das Buch gekauft und finde: „Benötigt werden Anstalten des Gegenwärtigmachens der Gegenwart. Anstalten

(Bedürfnisanstalten sozusagen), in die man eintritt – jung und alt (…) Benötigt werden offene und überwachte Stätten, in denen der Besucher gehend, sitzend, liegend, stehend Umgang halten kann mit den Elementen Feuer, Wasser, Luft; Benötigt wird ein neues Delphi:

Mensch, werde der Du bist.
Mensch, erkenne Dich selbst.
Mensch: Sei!

Benötigt wird das Selberbauen eines Delphi. Wobei die Erfahrung wirksam wird, dass das Bauen der Bau ist. Freiwillige, die willens sind, sich zu bauen, indem sie bauen, sind aufzurufen! Sie schaffen von Bauhütten aus unter Anleitung erfahrener Fachleute, die in Altersheimen hocken und warten auf solche Gelegenheit, ihre Erfahrung weiterzugeben.“

Dieses Kapitel, überschrieben mit ‚Bau von Stätten der Wahrnehmung: Eine Utopie?‘ und einer Fußnote: „Das Projekt wird zunächst für den Schloßpark Cappenberg vorgestellt. Ob es dort – oder aber an anderer Stelle- zur Durchführung kommt, ist noch eine Frage der Finanzierungsquelle- und Form.“

Zehn Jahre später stehen wir im Schloßpark Freudenberg (August 1993) und fangen an.

„Mitten in einem dichten Wald bot ein Schloß denen Zuflucht, die unterwegs von der Nacht überrascht wurden: Rittern und Damen, königlichen Gefolgen und einfachen Wanderern …

Ich stieg eine breite Treppe hinauf; fand mich in einem hohen geräumigen Saal: da saßen viele Menschen – gewiß auch sie nur Zufallsgäste, die mir auf den Waldwegen vorausgegangen waren – beim Abendessen an einer mit Kandelabern erhellten Tisch.“ Italo Calvino, 1973

Wir nennen uns alle Mitwirkende – nicht MitarbeiterInnen oder Angestellte und unter uns sind eine Biographieleserin, die uns unsere Schrift des Lebens zeigt, eine Er-folgerin, die immer die Folgen sieht, Ermöglicher, die überall Möglichkeiten sehen, ein Insektenfreund, der aus dem Leben der Insekten erzählt und deren Überlebenstechniken kennt. Ein Imker, für den die Bienen so zu uns gehören, wie das Ein- und Ausatmen, eine Gärtnerin, die mit der Liebe zu den kleinsten Dingen, Beete, Gärten, Wald und Wiesen pflegt und hegt. Es gibt Suchende, die aufhören zu suchen und mit dem arbeiten und leben, was sie finden. Zwei blinde Menschen, die hier ihre Aufgabe gefunden haben und uns täglich vorführen: Es gibt ein Licht, das in der Finsternis scheint. Einer der am Ende ein Strich zieht und Alles zusammenzählt. Ein ganzes Jahr in einer Zahl. Eine Fragestellerin, die die Antworten festhält und daraus eine Abmachung flechtet. Dieses Band hält.

Eine Theaterfrau die uns immer wieder daran erinnert: „Das ganze Unternehmen hat den Charakter eines Gesamttheaters, in dem der Besucher zugleich und in einer Person: Autor, Regisseur, Schauspieler und Zuschauer ist.“ …

… und sitzen am Kamin und singen:

Schütze die Flamme.
Schützt Du die Flamme nicht,
leicht löscht der Wind das Licht,
das er entfachte.
Brich dann Du ganz erbärmlich Herz,
stumm vor Schmerz.
(Joseph Beuys)

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